Warum macht ein Kassenarzt kein „richtig großes" Blutbild?

In vielen Fällen berichten mir Patienten, dass ihre Ärzte ein „großes Blutbild" gemacht haben, aber nichts Auffälliges gefunden wurde. Oft wird ihnen dann gesagt, dass alles in Ordnung sei, was impliziert, dass alle notwendigen Untersuchungen durchgeführt wurden und keine Anomalien entdeckt wurden. Häufig führt dies dazu, dass psychosomatische Ursachen als einzige Erklärung für die Beschwerden angenommen werden.

Definition und Umfang eines „großen Blutbilds"

Ein „großes Blutbild" umfasst objektiv die Zählung der Blutzellen, einschließlich der Differenzierung der weißen Blutzellen (Leukozyten). Diese Untersuchung ist wichtig, um grundlegende Informationen über den Gesundheitszustand zu erhalten, wie z.B. das Vorhandensein von Anämien, Blutgerinnungsstörungen, Anzeichen für Infektionen oder Hinweise auf Leukämie. Dennoch bietet dieses Blutbild nur einen begrenzten Einblick und reicht oft nicht aus, um komplexe Beschwerden umfassend zu diagnostizieren.

Finanzielle Aspekte und das Budget der Kassenärzte

Ein Kassenarzt muss wirtschaftlich arbeiten und hat ein festgelegtes Budget für Laboruntersuchungen, das oft bei etwa 4 Euro pro Patient pro Quartal liegt. Übersteigt er dieses Budget, drohen finanzielle Einbußen. Um wirtschaftlich zu bleiben, kann ein Arzt nicht für jeden Patienten in jedem Quartal ein umfangreiches Blutbild anordnen. Bei Fachärzten wie Endokrinologen sind die Budgets etwas höher, aber auch hier besteht der Druck, das Budget nicht auszureizen, um den sogenannten Wirtschaftlichkeitsbonus nicht zu verspielen. Google mal nach dem Wirtschaftlichkeitsbonus. Natürlich wird er meist beschönigend beziehungsweise positiv aus Sicht er Ärzteschaft beschrieben. Auf gut deutsch bedeutet er: Umso weniger Laborkosten eine Arztpraxis im Verhältnis zu den behandelten Patienten verursacht, umso mehr Geld bekommt sie quasi zurück. Es ist also ein Anreiz, möglichst wenig für Laborwerte auszugeben. Wenn man Dir also den Sinn einer umfangreichen Blutanalyse ausreden möchte, kann dahinter ein wirtschaftliches Kalkül liegen. Das gibt natürlich niemand gerne zu. 

Subjektive Vorstellungen eines „großen Blutbilds"

Die Vorstellungen darüber, was ein „großes Blutbild" beinhaltet, variieren stark. Neben den Standardwerten können Leber- und Nierenwerte, der TSH-Wert für die Schilddrüse, Blutfettwerte und der CRP-Wert als Entzündungsmarker hinzugezogen werden. Diese zusätzlichen Tests kosten jedoch mehr und belasten das Budget des Arztes erheblich. Um Kosten zu sparen, überweisen Hausärzte Patienten oft an Fachärzte, die für spezifische Untersuchungen zuständig sind, was jedoch für die Patienten zeitaufwendig und umständlich sein kann.

Fachlich korrekt versteht man unter dem Blutbild nur die Auszählung der Blutzellen, wie bereits weiter oben beschrieben. Es wird vor allem unter Laien aber auch von vielen Ärzten als Synonym für eine Blutanalyse verwendet. Begriffe wie Blutanalyse oder klinische Chemie klingen in der deutschen Sprache etwas sperrig. Ähnlich wie sich die Begriffe Nutella für Haselnusscreme oder Tempos für Papiertaschentücher etabliert haben, wird die Bezeichnung Blutbild etwas unscharf gebraucht. 

Polypen, klinische Chemie und die Besserwisserei eines kranken Gesundheitssystems

Ein anderes Beispiel für die falsche Verwendung medizinischer Begriffe sind die sogenannten „Polypen“ oder „Nasenpolypen“, die manchen Kleinkindern das Atmen erschweren. Der korrekte medizinische Terminus wäre Adenoide Vegetation. Das kann sich kein Mensch merken. Gemeint ist eine Hyperplasie (Vergrößerung) der Rachenmandeln, die den Nasen-Rachen-Raum verengen und chronisch entzündet sein können. Polypen sind Wucherungen der Schleimhäute, die durchaus auch im Bereich der Nasenschleimhäute auftreten können und ähnliche Symptome wie geschwollene Rachenmandeln verursachen können. Letztere gehören jedoch zu den lymphatischen Geweben und sind Teil unseres Immunsystems.

Ich erwähne das hier so ausführlich, da ich auf Social Media immer wieder Diskussionen zu dem Thema hatte. Wenn ein Heilpraktiker nicht mal ein Blutbild von der klinischen Chemie unterscheiden könne, müsse er ja Blödsinn erzählen. Meine Intention ist es jedoch, eine Sprache zu sprechen, die auch medizinische Laien verstehen. Leider wird Kritik viel zu häufig personalisiert, indem man den Überbringer der ungeliebten Botschaft angreift. Damit will man oft inhaltlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen. In dem hier kritisierten Thema spiegelt sich in meinen Augen die kranke Struktur unseres Gesundheitssystems wider. Während Milliarden für Medikamente, Impfungen und teils unnötige Operationen verpulvert werden, wird an der viel günstigeren Prävention mithilfe gesunder Ernährung und gezielter Mikronährstofftherapie gespart.

Einschränkungen und Patientenwahrnehmung

Es gibt keine einheitliche Regelung darüber, welche Tests zu einem umfassenden Blutanalyse gehören, was zu unterschiedlichen Vorgehensweisen führt. Dies hängt eben oft vom Budget des Arztes und seiner Einschätzung der Patientenbeschwerden ab. Die Folge kann sein, dass Gesundheitsprobleme nicht erkannt werden und ungelöst bleiben. Patienten erhalten manchmal die implizite Botschaft, dass ihre Beschwerden psychosomatisch bedingt sein könnten, wenn das „große Blutbild" keine auffälligen Ergebnisse liefert.

Fehler in der Diagnosestellung

Die Begrenzungen, denen Kassenärzte unterliegen, beeinflussen die Diagnosestellung erheblich. Obwohl umfassendere Diagnosen und Untersuchungen oft notwendig wären, hindert das wirtschaftliche System Kassenärzte daran, diese durchzuführen. Patienten verlassen die Arztpraxis häufig mit unvollständigen Antworten und manchmal der Fehleinschätzung, dass ihre Beschwerden nicht ernst zu nehmen seien.

Die Situation der Kassenärzte ist aufgrund der Budgetrestriktionen herausfordernd, und es ist bedauerlich, dass sie unter diesen Bedingungen arbeiten müssen. Es ist jedoch wichtig, dass Patienten über die Grenzen eines „großen Blutbilds" aufgeklärt werden, um Missverständnisse zu vermeiden und eine angemessene Labordiagnostik und Behandlung zu gewährleisten.

Das geringe Laborbudget der Kassenärzte und seine Auswirkungen

Das Laborbudget der Kassenärzte ist stark eingeschränkt und variiert je nach Fachbereich erheblich. In den meisten Fällen bewegen sich diese Budgets im Bereich von wenigen Euro pro Patient und Quartal. In spezialisierten Fachbereichen wie der Rheumatologie, Nephrologie oder Endokrinologie können die Budgets zwar höher sein, liegen jedoch meist zwischen 30 und 70 Euro. Diese finanziellen Grenzen setzen Kassenärzten enge Rahmenbedingungen und begrenzen ihren Handlungsspielraum erheblich.

Verteilung des Budgets

Theoretisch könnten Ärzte ihr Budget konzentriert auf wenige Patienten anwenden, indem sie bei den meisten Patienten auf umfangreiche Laboranalysen verzichten und nur bei wenigen umfassendere Tests durchführen. Diese Strategie ist jedoch mit Risiken verbunden. Der Wirtschaftlichkeitsbonus, den Ärzte erhalten, wenn sie sparsam mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umgehen, kann schnell gefährdet werden, wenn die Ausgaben für Laboruntersuchungen zu hoch werden. Ein Überschreiten des Budgets könnte zu finanziellen Einbußen für die Praxis führen, was den Anreiz verstärkt, auf teure Laboruntersuchungen zu verzichten.

Selbstzahlerleistungen und Transparenz

Ein weiteres Problem tritt auf, wenn Patienten bereit sind, Laborleistungen selbst zu zahlen, etwa für Vitamin-D-Werte oder andere Mikronährstoffe, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Einige Ärzte lehnen es ab, diese Tests als Selbstzahlerleistungen anzubieten, was bei Patienten oft auf Unverständnis stößt. Ein Grund dafür ist die geringe Vergütung für die Blutentnahme gemäß der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ-Ziffer 250), die maximal 5,83 Euro beträgt. Diese Summe deckt kaum den Aufwand für das Punktieren der Vene, das Ausfüllen des Laborscheins sowie die Bearbeitung und den Versand der Proben.

Auch die Vergütung für die Übermittlung der Befunde ist mit 3,15 Euro (GOÄ 2) äußerst niedrig, ebenso wie die Beratungsleistungen, die pro Behandlungsfall nur mit etwa 20 Euro (GOÄ 3) vergütet werden. Dies macht es für Kassenärzte finanziell unattraktiv, ausführliche Befundbesprechungen durchzuführen. In der Praxis führen solche Rahmenbedingungen dazu, dass detaillierte Gespräche über die Ergebnisse und deren Implikationen oft zu kurz kommen.

Mangel an Zeit und Wissen

Neben den finanziellen Einschränkungen fehlt es vielen Ärzten an der nötigen Zeit und manchmal auch an spezialisierter Fachkenntnis, um erweiterte Labordiagnostiken durchzuführen, insbesondere in Bereichen wie Mikronährstoffen, Mitochondrien oder dem Mikrobiom. Während Fachärzte in der Regel ein fundiertes Wissen über die für ihre Praxis relevanten Laborwerte besitzen, gibt es in der allgemeinen Praxis oft eine Wissenslücke bei weniger standardisierten Tests.

Einige Ärzte reagieren sogar verärgert, wenn Patienten ihnen detaillierte Laborberichte vorlegen, die sie von Heilpraktikern erhalten haben. Diese Berichte sind oft grafisch ansprechend aufbereitet und leicht verständlich, was sie in den Augen mancher Ärzte unseriös erscheinen lässt. Dabei wird manchmal übersehen, dass diese Berichte von akkreditierten Laboren stammen, die denselben hohen Standards folgen wie herkömmliche Labore.

Fehlinterpretationen und Übersehen wichtiger Befunde

Die beschränkten Ressourcen und der Zeitmangel führen manchmal dazu, dass sogar wichtige Informationen aus standardmäßigen Blutwerten übersehen werden. Es gibt Fälle, in denen lebenswichtige Auffälligkeiten im Differentialblutbild, das Teil des großen Blutbilds ist, nicht erkannt wurden. Dies kann entweder auf eine unzureichende Auswertung der Befunde oder eine mangelnde Verknüpfung der Laborwerte mit den von den Patienten geschilderten Symptomen zurückzuführen sein. Zeitdruck und die Notwendigkeit, schnell zu einer Diagnose zu kommen, tragen dazu bei, dass solche wichtigen Details manchmal nicht die nötige Aufmerksamkeit erhalten.

In meinem Buch „Fehldiagnose psychosomatisch - Wenn Ärzte nicht weiter wissen“ schildere ich zwei Patientenfälle, bei denen schwerwiegende Auffälligkeiten im kleinen und Differentialblutbild (als den Blutzellen) von den zuvor behandelnden Ärzten übersehen wurden. Da ich mir für jede Auswertung von Laborwerten ausreichend Zeit nehme, war ich in der Lage, die Auffälligkeiten zu entdecken. In beiden Fällen bestätigte sich dann der Verdacht von bösartigen Erkrankungen, die dann schulmedizinisch und eben rechtzeitig behandelt werden konnten.

Fazit

Das geringe Laborbudget der Kassenärzte begrenzt nicht nur die Anzahl der durchführbaren Tests, sondern beeinflusst auch die Qualität der Diagnostik und die Patientenzufriedenheit. Die finanziellen und zeitlichen Beschränkungen erschweren es den Ärzten, umfassende und detaillierte Untersuchungen durchzuführen, was dazu führen kann, dass wichtige gesundheitliche Probleme nicht erkannt werden. Eine umfassendere Aufklärung der Patienten über diese Einschränkungen und eine offene Kommunikation könnten helfen, Missverständnisse zu vermeiden und die Erwartungen besser zu steuern. Gleichzeitig ist es notwendig, dass das Gesundheitssystem Wege findet, um eine angemessene Diagnostik zu ermöglichen, ohne die wirtschaftlichen Zwänge der Kassenärzte weiter zu verschärfen. 

Da hier auf absehbare Zeit keine Besserung in Sicht ist, sind Privat- und Selbstszahlerleistungen oft die einzige Möglichkeit, eine umfassende und präventive Diagnostik und Therapie zu erhalten. Diese Lücke im Gesundheitssystem schließen wir Heilpraktiker gemeinsam mit ganzheitlich praktizierenden Ärzten.